10.03.21 || FRANFURT
(10. März 2021) - Die Arbeitswelt steht - getrieben von digitalen Technologien und technischen Innovationen - vor großen Veränderungen, nicht nur in der Fertigung, sondern auch im tertiären Sektor.
Deutlich mehr als 50 Prozent der Arbeitsplätze werden mittelfristig von diesem Wandel betroffen sein, so die Einschätzung von Dr. Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur
für Arbeit im Videogespräch der Polytechnischen Gesellschaft. Durch Epidemie und Lockdown erhält die Digitalisierung der Arbeit derzeit einen enormen Schub. Dies zeigt sich auch bei der Bundesagentur
selbst: Vor einem Jahr seien von 100.000 Arbeitsstellen in der Arbeitsmarktverwaltung gerade einmal 4.000 Homeoffice fähig gewesen. Heute seien es 58.000.
Der technologische Wandel bringt neue Lösungen hervor, und die Unternehmen sind in der Krise gezwungen, diese zu erproben. Videokonferenzen sind ein Beispiel. Frank Martin geht davon aus, dass viele der so bewirkten Veränderungen über das Ende der Pandemie hinaus Bestand haben. Das Volumen an Dienstreisen etwa werde langfristig sinken - mit Folgen für den Arbeitsmarkt in der Reisebranche. Dennoch werde Frankfurt eine zentrale Verkehrsdrehscheibe bleiben: „Der Transport- und Logistiksektor hängt nicht nur am Flughafen. Zudem ist Frankfurt der Umschlagplatz für Waren, und wir haben keinen massiven Rückgang des Warenhandels."
Die Rhein-Main-Region sieht Martin grundsätzlich gut aufgestellt: „Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten bereits deutliche Veränderungen in der Arbeitswelt des Rhein- Main-Gebiets gehabt, und wir werden sie weiter haben. Das Rhein-Main-Gebiet hat einen unglaublichen Fundus an qualifizierten Arbeitskräften, einen wesentlich höheren Anteil junger Menschen, einen hervorragenden Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland. Die Region sieht aus meiner Sicht einer sehr guten Zukunft entgegen."
Nichtsdestotrotz werden Künstliche Intelligenz, Roboter, Prozessautomatisierung und Big Data die Arbeitswelt tiefgreifend verändern. Arbeitsplätze werden wegfallen - auch im tertiären Sektor. Davor
Angst zu haben, habe jedoch keinen Sinn, meint Martin. Wichtig sei, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Wandel akzeptierten und sich darauf einstellten. Zahlreiche Aufgaben ließen sich im Prinzip
bereits heute automatisieren, so Martin, doch für viele Arbeitgeber rechne sich das nicht. Oft sei die menschliche Arbeitskraft immer noch günstiger als die Investition in intelligente Maschinen.
Zudem bringen neue Technologien auch ganz neue Aufgaben hervor, betont Martin: und zwar nicht nur für hochspezialisierte Programmierer, sondern auch für geringqualifizierte Arbeitnehmer. „Fakt ist, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl der geringqualifizierten Arbeitsplätze in Deutschland zugenommen hat. Sie hat schlicht zugenommen, weil es sich immer noch gerechnet hat, Menschen einzusetzen", so Martin.
Der Chef der hessischen Arbeitsagentur leugnet nicht, dass der Wandel für den einzelnen durchaus schwierig sein werde. Auch das lebenslange Lernen habe Grenzen. Denn Arbeitnehmer könnten nicht beliebig umgeschult werden. Die Chancen für eine erfolgreiche Umschulung steigen jedoch, so Martin, je besser das Ausgangsniveau der beruflichen Qualifikation ist. Daher müsse das Hauptaugenmerk der Politik auf Schule und Berufsqualifizierung liegen, insbesondere auf dem Übergang von der Schule in die Ausbildung. „Das Ziel muss sein, dass keiner nach der Schule verloren geht, dass wir jeden jungen Menschen kennen, dass wir von jedem wissen, ob er was gefunden hat, ob er den Anschluss hinbekommen hat, und falls nicht, dass wir ihm ein Beratungsangebot unterbreiten. Das ist der Punkt, an dem wir noch wesentlich mehr investieren müssen."
Dr. Frank Martin war von der Polytechnischen Gesellschaft ursprünglich als Experte zum Themenabend „Schöne neue Arbeitswelt" eingeladen. Als Ersatz wurde das Videogespräch aufgenommen, ab sofort im Youtube-Kanal PTGFrankfurt der Polytechnischen Gesellschaft.
Der Themenabend „Schöne neue Arbeitswelt: Gelingt die digitale Transformation?" findet statt am Dienstag, 16. März 2021, um 19:00 Uhr im Livestream der Polytechnischen Gesellschaft.