27.07.13 || FRANKFURT-HÖCHST (27. Juli 2013) - Es
gibt schon viele Versuche, den Hessen Moliere nahezubringen. Seine französische Sprache, seine Theaterkunst, seine kritische Widerspiegelung höfischer Verhältnisse in und um Versailles haben
Schriftsteller von Bühnenaufführungen immer wieder neu inspiriert. Auch die Tatsache, dass er 1673 bei seiner vierten Aufführung des „eingebildeten Kranken" zusammenbrach und wenige Tage starb, die
Kirche seine Bestattung in „geweihter Erde" untersagte und Freunde ihn nachts heimlich begraben mussten, hat das Interesse an dem Autor und Schauspieler, der stets die Titelrollen selbst spielte,
verstärkt.
Ein Mann, der sich besonders um Molieres Stücke bemühte und sie ins „Hessische" „umdirigierte", war Wolfgang Deichsel. Vor 43 Jahren startete er mit seiner ersten Premiere: „der Schule der Frauen". Die Übertragung eines Klassikers in Dialekt war bis dahin noch nicht gemacht worden. Und Deichsel war sich zunächst auch unsicher, ob das nicht zu einer parodistischen Verkleinerung führen würde, fand dann aber, dass sich eine neue Dimension gestischer Sprache ergab. „Das brachte die Schauspieler dazu, im Sinne der Brechtschule körperlich und konkret zu spielen und soziale Beziehungen sinnfällig zu machen", so seine Schlussfolgerung. Keinesfalls sollte die Bühnensprache in ein alltägliches Fernsehgebrabbel versinken. Da sich der Dialekt auf eine schöne, widersprüchliche Art mit dem Vers verbinde, wurden die Schauspieler angehalten, eine erhabene , hohe Sprechweise zu entwickeln, „die große Geste, die ich für notwendig halte, wenn man auf der Bühne arbeitet".
Deichsel hat die Handlung vom französischen Absolutismus in das deutsche Biedermeier verlagert, und die Bürger als Hessen auftreten lassen, meint Karlheinz Braun, der nunmehr das Buch „der Hessische Moliere" über Wolfgang Deichsel und Rainer Dachselt herausgegeben hat. Und das Publikum fühlte sich direkt angesprochen. Die Spielzeiten wurden verlängert, ja sie wurden sogar in andere Dialekte übersetzt, ins Pfälzische und ins Schwäbische.
Im Rhein-Main-Gebiet folgte nach dem „Menschenfeind" und dem „Tartüff" eine zweite Spielphase mit dem Hessischen Moliere im Volkstheater in Frankfurt. Liesel Christ findet in Deichsel einen zeitgenössischen hessischen Dramatiker - auch mit Aufführungen wie „Bleiwe losse" und „Loch im Kopp". Dier dritte Spielphase ist mit den Burgfestspielen in Bad Vilbel verbunden - und wieder mit „der Schule der Frauen". Hier spielte auch erstmals Michael Quast mit. Quast spielt ein Jahr später hier auch den Tartüff, Deichsel den Orgon. Und noch ein Jahr später treten beide in der hessischen Version des „eingebildeten Kranken" auf.
Deichsel und Quast entdeckten 2oo5 im spätbarocken Bolongaro-Palast in Frankfurt-Höchst eine neue ideale Spielstätte. Man erfindet den Namen „Barock am Main". Und wieder ist es das Stück „die Schule der Frauen", mit dem auch hier reüssiert wird. Zwischendurch gab es Fernseh- und Hörfunkaufzeichnungen. Quast gründete die „fliegende Volksbühne Frankfurt", mit der noch heute auf Reisen ist.
Nach dem Tod von Deichsel tritt Rainer Dachselt in dessen Fußstapfen und machte aus Molieres „Der Geizige" eine hessische Fassung, ein Stück, das nach der Finanzkrise , der Gier und dem Geiz wieder in aller Munde war. Und wo würde das Stück, das vom Geld handelt und von dem, was es mit den Menschen anrichtet, besser hinpassen als nach Frankfurt! Das Publikum war begeistert. Michael Quast hat mittlerweile die Rolle des hessischen Molieres übernommen.
Nunmehr im August 2013 hat Rainer Dachselt Molieres „Don Juan" auf hessisch umgeschrieben (Premiere am 1.August, ebenfalls im Bolongaro-Palast). Dachselt, Autor, Redakteur und Sprecher im Hörfunk des hr schrieb auf dem Gebiet der Unterhaltung zahlreiche Glossen, Satiren und Szenen oder auch für Quast stadtgeschichtliche Performances wie „Frankfurt ist kaa Lumpennest" oder „Vincenz Fettmilch - ein wutbürgerliches Trauerspiel".
Das neue hessische Moliere-Buch enthält sechs Stücke von Deichsel, zwei von Dachselt. Alle sind auch sehr gut lesbar. Und falls jemand manche Ausdrücke nicht verstehen sollte, ist ein „Hessisches Idiotikon" angegliedert, in dem man z.B. erfährt, was ein „Dabbes", „Derrappel" oder ein „Breckeldippe" ist.
„Der Hessische Moliere" ist in den Henrich Editionen erschienen, hat 200 Seiten und 70 Abbildungen und kostet 24.95 Euro. Die ISBN-Nummer: 978-3-943407-16-7. Weitere Informationen: www.henrich-editionen.de