04.03.15 || FRANKFURT (03. März 2015) - Im Oktober 2014 feierte die Goethe-Universität
Frankfurt in einem Festakt in der Pauskirche ihr hundertjähriges Bestehen. Im Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität „Forschung Frankfurt - Wissenschaft im Wandel" erschien die Rezension über
zwölf, bisher erschienene Biografien , der mit der Universität verbundenen Persönlichkeiten. Hier ein Nachdruck des Textes ergänzt durch Fotos der Autorin Lebensbilder, die die wechselvolle
Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegeln. Ein Blick in die zwölf Bände der Biografienreihe »Gründer, Gönner und Gelehrte«. Das nebenstehende Bild zeigt den Bücherstapel mit den bisher
erschienenen zwölf Bänden
Die Goethe-Universität hat ihren 100. Geburtstag zum Anlass genommen, sich herausragender Persönlichkeiten in ihrer Geschichte zu erinnern. In der im Frankfurter Societäts-Verlag erscheinenden Biografienreihe »Gründer, Gönner und Gelehrte« werden Persönlichkeiten der Gründerjahre der Universität vor und nach 1914 ebenso wie die Generation des Wiederaufbaus nach 1945, aber auch Vordenker und Akteure der bildungsbewegten 1960er und 1970er Jahre porträtiert. Die Reihe zeigt, wie eng die Geschichte der Universität mit der Frankfurts verwoben ist, und dokumentiert somit auch ein Stück Stadtgeschichte.
Festakt zum
100-jährigen Bestehen der Goethe-Universität in der Paulskirche am 18. Oktober 2014 mit Bundespräsident Joachim Gauck - auf unserem Bild neben Oberbürgermeister Peter Feldmann mit
Amtskette
Bisher liegen zwölf Bände *) vor. Sie geben einen umfassenden Eindruck von der intellektuellen und wissenschaftlichen Vielfalt, die die Universität in ihrer frühen Phase bis 1933 prägte, aber auch über das Engagement der Remigranten, die sich nach dem Zweiten Krieg vehement für den Wiederaufbau einer liberalen Universität stark machten. In ihren Lebensbildern spiegelt sich zugleich die wechselvolle deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. An das Leben und Leiden, der im Nationalsozialismus verfolgten Wissenschaftler und Mäzene zu erinnern, ist auch als ein Stück Wiedergutmachung zu werten, denn die Goethe-Universität Frankfurt entließ 1933 ein Drittel ihres Lehrpersonals. Die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte wird damit zu einem wichtigen Akt der kritischen Selbstreflektion, die unbedingt zu so einem Jubiläum gehört.
Mit Oberbürgermeister Franz Adickes
(1845-1915), dem studierten Juristen, und Wilhelm Merton (1848-1916), dem ausgebildeten Kaufmann und Mäzen, stellen Lothar Gall und Ralf Roth zwei unterschiedliche und doch ähnliche Charaktere vor,
ohne deren gemeinsames Wirken die Frankfurter Universität 1914 nicht hätte gegründet worden können. Und das ging nicht ohne kontroverse Dispute zwischen den beiden Persönlichkeiten ab: Denn Adickes
setzte sich von Anfang an für eine »wirkliche Universität« ein, während Merton eher eine praktisch orientierte Ausbildung von Kaufleuten, von Sozialarbeitern und Volkswirtschaftlern favorisierte, wie
sie die 1901 zunächst gegründete „Akademie für Sozial-und Handelswissenschaften" anbot.
Prof. Lothar Gall der
Autor des Bandes über Adickes
Lothar Gall, seit 1968 Professor für Neuere Geschichte an der Goethe-Universität und brillanter Kenner des deutschen Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert, berichtet in seiner Adickes-Biografie auch über die Projekte des liberalen Oberbürgermeisters und »Munizipalsozialisten«, der Frankfurt in den 21 Jahren seiner Amtszeit zur Großstadt entwickelte und dabei sowohl die Infrastruktur als auch die Verbesserung der sozialen Situation und der Bildung der Bürger im Auge hatte. So entsteht eine aufschlussreiche Chronik der Kommunalpolitik bis in die Wirren des Ersten Weltkrieges. Der Autor zeichnet einen ehrgeizigen, von Macht getriebenen, aber immer zur Verständigung bereiten Politiker, der Pragmatiker und Taktiker zugleich war. Einige Zeilen über Adickes als Privatperson hätten das Bild noch abrunden können.
Während Gall Adickes mit seinen engen
Bezügen zu Merton in den Fokus nimmt, steht in Roths Biografie von Merton dessen philanthropisches Engagement, aber auch die Industrialisierung im Mittelpunkt. Als William Moses in Frankfurt geboren,
konvertierte Merton 1899 zum protestantischen Glauben. Zunächst keineswegs an der Bank- und Metallhandlung seines Vaters interessiert, gelang es ihm, daraus einen Weltkonzern zu schmieden: die
Metallgesellschaft. Der Historiker Ralf Roth, der Neuere Geschichte an der Goethe-Universität lehrt und Research Fellow des Royal Holloway College an der University of London ist, legt Wert darauf,
die englische Herkunft Mertons aufzuschlüsseln, die sein späteres globalisiertes Handeln verständlich macht.
Er lässt zudem kritische Zeitzeugen zu Wort kommen, die den genialen Global Player wegen seiner neuen Form des Kapitalismus und der Monopolstellung angreifen. Roth stellt aber andererseits dar, wie Merton sich energisch gegen Kriegsgewinne und Schwarzmarktkäufe wandte, auch als der Krieg seinen Konzern beschnitt. Sein soziales Engagement innerhalb seines Konzerns und das von ihm gegründete Institut für Gemeinwohl werden ebenso beleuchtet, wie sein Wirken für die Gründung der Universität. Vom privaten Merton, der mit der wohlhabenden Bankierstochter Emma Ladenburg fünf Kinder hatte, kann der Autor nur wenig berichten.
Zum »Dreigestirn«, das zunächst die Gründung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften voranbrachte, gehörte auch der Geheime Justizrat Dr. Henry Oswalt (1849-1934). Merton lud seinen engen Vertrauten gemeinsam mit Adickes 1897 in sein Haus ein, und bei diesem Gespräch wurden die Pläne für die 1901 eingeweihte Akademie beschlossen, finanziert mit Stiftungsgeldern von Merton. Die Gründung der Universität sollte noch über ein Jahrzehnt dauern.
Die Autorin der Oswalt-Biografie, die
Historikerin Birgit Wörner, ist eine Kennerin der Frankfurter Stadtgeschichte, sie hat über »Werte und Lebenspraxis des Frankfurter Wirtschaftsbürgertums 1870 bis 1930« an der Goethe-Universität
promoviert. Sie konzentriert sich in der Biografie des Bildungsbürgers und Mäzens Oswalt zunächst auf dessen Herkunft aus dem jüdischen Ghetto in Frankfurt und beschreibt den schwierigen Aufstieg in
die Elite des Frankfurter Bürgertums. Immerhin durfte sich die Familie von »Ochs« in »Oswalt« umbenennen. Sie widmet sich der Zeit bis 1866, als die »israelitischen Bürger« unter dem Druck standen,
sich zu assimilieren. Als Oswalt und Marie Louise Clara von Hergenhahn heirateten, war dies auch ein sozialer Aufstieg, denn seine Frau kam aus einer anerkannten christlichen Familie, ihr Vater war
Polizeipräsident.
Die Autorin schildert auch das vergebliche Bemühen des liberalen Kommunalpolitikers Oswalt, ein Reichstagsmandat zu ergattern. Sie gewährt Einblicke ins Private: in das bürgerliche Familienleben in der Leerbachstraße 23 und in gemeinsame Ferien prominenter Frankfurter Familien im schweizerischen Ort Sils-Maria. Sie stellt zudem vor, wie Marie Oswalt sich sozial engagierte - insbesondere im »Verein für Volkskindergärten«, tatkräftig unterstützt von ihrem Mann. Daher ist es nur folgerichtig, das Wirken der Nachfahren für das Gemeinwohl und für die Frankfurter Universität bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuzeigen.
Die Arbeit Henry Oswalts als Wissenschaftstheoretiker würdigt Roman Köster, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte an der Universität der Bundeswehr München. Die finanzpolitischen Ausführungen sind sehr fachbezogen, bilden aber eine interessante Ergänzung.
Über die Frankfurter
Ehrenbürger und Mäzene Leo Gans (1843-1935) und Arthur von Weinberg (1860-1943), der Neffe von Leo Gans, schreibt die in Potsdam lebende Historikern Monika Groening. Sie hat sich in ihren Arbeiten
mit der Geschichte des Bürgertums im 19. Jahrhundert und der jüdischen Geschichte beschäftigt und gemeinsam mit Angela Gans ein Buch über die Familie Gans von 1350 bis 1963 veröffentlicht. Auf die
frühe Geschichte der Familie nimmt sie zu Beginn der Biografie ausführlich Bezug. Die beiden Unternehmer und Mäzene sind im öffentlichen Bewusstsein bisher nicht so präsent gewesen. Monika Groening
gelingt eine differenzierte Darstellung der beiden Charaktere und ihres schwierigen Wegs zur jüdischen Emanzipation. Gans und Weinberg waren fasziniert von den neuen naturwissenschaftlichen Methoden,
entwickelten bahnbrechende Verfahren zur Herstellung synthetischer Farben und führten die Firma Cassella zum wirtschaftlichen Erfolg. Die Doppelbiografie macht deutlich, dass ohne diese beiden Planer
und Strategen, die in den wichtigen Gremien des Physikalischen Vereins und der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft mitmischten und große Summen spendeten, Adickes Vorhaben der
Universitätsgründung vermutlich gescheitert wäre.
Die Autorin beschreibt eindrücklich, wie eng insbesondere Arthur von Weinberg und sein Bruder Carlo, die ebenso wie Leo Gans schon früh zum Christentum konvertiert waren, zum Frankfurter Großbürgertum und zum Kreis der deutschen Wirtschaftsführer gehörten und wieweit sie sich von den jüdischen Wurzeln entfernt hatten. Außerdem deckt Monika Groening auf, dass Arthur von Weinberg 1930 zu den Begründern der rechtsgerichteten Deutschen Staatspartei und dass es in der Familie eine gewisse Nähe zu der faschistischen Bewegung Mussolinis gab. Die Zuversicht, mit dem die neu-adeligen und patriotischen Weinbergs nach 1933 auf eine spätere Einsicht der Nazis setzten, sollte sich nicht erfüllen: Ende der 1930er Jahre verloren sie alle Ämter, Arthur von Weinberg wurde im Juni 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er starb; sein Bruder Carlo floh zur Schwester nach Italien.
Am 30. März 2014 wäre Franz
Oppenheimer (1864-1943) 150 Jahre alt geworden. Anlass genug, um auch in einer Biografie an diesen außergewöhnlichen Gelehrten zu erinnern, der mit seinen zukunftsweisenden Ideen nicht nur das
liberale Klima an der Universität in den 1920er Jahren entscheidend prägte. Der streitbare Wissenschaftler war der erste Professor für Soziologie an einer deutschen Universität; sein von dem
Frankfurter Mäzen Karl Kotzenberg gestifteter Lehrstuhl war der Soziologie und der theoretischen Nationalökonomie gewidmet. Der Wirtschaftswissenschaftler Volker Caspari, Professor an der Technischen
Universität Darmstadt, arbeitet in seinem Part der Biografie heraus, warum Oppenheimer als einer der bedeutendsten Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft gilt. Seine Vorstellungen eines »liberalen
Sozialismus«, seines »dritten Wegs« zwischen Kommunismus und Kapitalismus, entwickelte sein berühmtester Schüler Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister in der jungen Bundesrepublik weiter, auch das
wird in dem Band anschaulich dokumentiert.
Während Caspari einen detaillierten Überblick zu Oppenheimers volkswirtschaftlichen Vorstellungen gibt und sich intensiv mit Oppenheimers großem Thema des durch die Bodensperre eingeschränkten Landerwerbs beschäftigt , setzt sich Klaus Lichtblau, Soziologie-Professor an der Goethe-Universität, mit Oppenheimers opulentem Gesamtwerk zum System der Soziologie auseinander, das überwiegend in seinen zehn Frankfurter Jahren entstanden ist. Doch beide Autoren zeichnen nicht nur ein Bild des Wissenschaftlers Oppenheimer. Sie beschreiben auch, wie der junge Berliner Arzt aus jüdischem Elternhaus zum kritischen Betrachter der sozialen Verhältnisse wurde, wie er seine Vorstellungen der Siedlungsgenossenschaften entwickelte und diese versucht, innerhalb der zionistischen Bewegung umzusetzen. Auch Oppenheimer, damals schon nicht mehr an der Universität Frankfurt, muss über viele Umwege vor der Verfolgung der Nazis in die USA fliehen, wo er 1943 verarmt starb.
Der Gegentypus zu dem solide und emsig wissenschaftlich arbeitenden Oppenheimer ist der Ethnologe, Afrikaforscher und Abenteurer Leo Frobenius (1873-1938): » [..]eine schillernde, ambivalente und doch faszinierende Persönlichkeit: Schulabbrecher und Autodidakt, Abenteurer und Afrika-Entdecker, Schwärmer und Schwindler, Ethnologe und Kulturphilosoph, Irrationalist und Antimodernist, Monarchist und Militarist, Verklärer und Neu-Romantiker. Der Quereinsteiger in die akademische Welt war - wie viele seiner Zeit - getrieben von der Vorstellung, sich mit aller Kraft gegen Modernisierung und Rationalisierung stemmen zu müssen. Was auf dem Klappentext der Biografie kurz angerissen wird, führt der Ethnologe Bernhard Streck detailliert und mit vielen Belegen aus seinen Schriften aus.
Bernhard Streck bei
der Vorstellung des Bandes über "Leo Frobenius"
Streck, der bei Eike Haberland, einem »wissenschaftlichen Enkel« von Leo Frobenius promovierte, der auf den afrikanischen Spuren seines Protagonisten unterwegs war und bis zu seiner Pensionierung das ethnologische Institut an der Universität Leipzig leitete, beschäftigt sich intensiv mit Frobenius‘ Afrika-Bild aus Mythen, Masken und Malereien; Frobenius konnte sich gerade deswegen an der exotischen Kunst und Kultur Afrikas berauschen, weil sie weder Zweckdenken noch Wirtschaftlichkeit zu folgen schien. Frobenius galt während der Unabhängigkeitsbestrebungen der afrikanischen Staaten als Ideenspender für ein neues Afrikabild, das auf kultureller Eigenleistung und Eigenwertigkeit gründete.
Mit seiner »Kulturmorphologie« als
Methode der Welterklärung befand sich Frobenius in bester Gesellschaft - sowohl am »Hofe« des exilierten deutschen Kaisers Wilhelm II. im niederländischen Doorn als auch bei den Frankfurter
Gegenmodernisten um den Altphilologen Walter F. Otto und den Gräzisten Karl Reinhardt. Sie machten sich gegen Widerstände aus den Reihen der Naturwissenschaftler für einen honorierten Lehrauftrag für
Frobenius stark. Frobenius‘ Wechsel nach Frankfurt war nicht ganz freiwillig: Als in München der Bankrott seines Afrika-Archivs drohte und seine Unterstützer sich zurück zogen, passte er
offensichtlich den richtigen Moment ab. In Frankfurt wollten die Stadt und einflussreiche Mäzene Frobenius‘ umfangreiche Sammlung und Bibliothek für das Völkerkundemuseum erwerben, später wurde
Frobenius auch noch Direktor dieses Museums, und seine Freunde richteten ihm ein eigenes Institut für Kulturmorphologie ein. Die Lektüre weckt Interesse, noch mehr Details über Frobenius‘ strapaziöse
Forschungsreisen und seine Selbstinszenierungen zu erfahren.
Als der »Aussenseiter« Ernst
Kantorowicz (1895-1963), ein Jünger aus dem Kreis um den Dichter Stefan George, seine Professur für Mittelalterliche Geschichte an der Universität antrat, war er bereits durch seine Biographie Kaiser
Friedrich der Zweite, des Enkels Barbarossas, berühmt. Das Werk, das ganz nach den Vorstellungen Georges geschrieben wurde, löste aufgrund seiner Konzeption einen Historikerstreit aus: Das vom
Stauferkaiser gezeichnete Bild sei eher nach einem auf die Gegenwart abzielenden Wunschdenken »geschaut« denn gemäß dem objektiven Wahrheitsanspruch der Wissenschaft analysiert worden. Allerdings
konnte Kantorowicz diese Vorwürfe weitgehend entkräften.
Janus Gudian, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Goethe-Universität, porträtiert Kantorowicz, der als Wissenschaftler und als Privatperson polarisierte, als eine durch Umbrüche gereifte Persönlichkeit. Er hatte sich »von einer anti-modernen, deutsch-nationalen und dem autoritären Denken verhafteten Gesinnung« einem »demokratischen Denken angenähert«. Gudian folgt dem Weg vom Saulus zum Paulus und zollt ihm Anerkennung für sein aufrechtes Verhalten. Kantorowicz, dessen jüdische Familie aus Posen kam und dessen Buch über Kaiser Friedrich dennoch in manchem nationalsozialistischen Bücherschrank stand, protestierte nämlich gegen die Entlassung jüdischer Professoren in Frankfurt. Und später im US-amerikanischen Berkeley, wohin er geflohen war, verweigerte er den antikommunistischen Loyalitätseid und verlor erneut seine Professorenstelle; aber nur, um gerade aufgrund dieser Einstellung an das Eliteinstitut für Advanced Study in Princeton berufen zu werden. Die Zitate aus privaten Briefen und aus Erzählungen von Freunden runden das Bild des sympathischen Wissenschaftlers ab.
Die Zwanziger Jahre müssen eine aufregende Zeit in Frankfurt und an der jungen Universität gewesen sein - voller konträrer Anschauung, aber doch in einem gewissen Dialog miteinander, dies vermittelt sich bei der Lektüre der Biografien aus dieser Epoche zwischen den Kriegen. Während Frobenius ebenso wie Kantorowicz zu den Wertkonservativen gehörte, bewegten sich Horkheimer, Adorno und ihre Mitstreiter am anderen Ende des Spektrums. Mit der Frankfurter Universität sind bis heute überall in der Welt die Namen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno verbunden.
Eine Kapazität, die schon als
Student an der Frankfurter Universität auffiel, war Max Horkheimer (1895-1973), der weder das väterliche Unternehmen, noch eine Universitätskarriere im Sinn hatte - genauso wenig wie sein Freund
Friedrich Pollock (1894-1970). Der »Dreierbund«, Horkheimer, Ehefrau Rosa Christine Riekher (Maidon) und Pollock bestand ein Leben lang: in Frankfurt, im amerikanischen Exil in New York und in Los
Angeles, wieder in Frankfurt und später im Tessiner Montagnola. Pollock war 1923 an der Gründung des weltberühmten Instituts für Sozialforschung beteiligt, das der deutsch-argentinische
Getreidehändler Hermann Weil und sein Sohn Felix gestiftet hatten. Horkheimer wurde schon 1930 sein Leiter und übernahm auch den Lehrstuhl für Sozialphilosophie an der Universität. Es war die
Geburtsstunde der erst nach dem Krieg so benannten Frankfurter Schule, einer Gruppe von Wissenschaftlern, die sich ideologiekritisch mit gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzte.
Der Autor dieser Biografie, Rolf Wiggershaus, intimer Kenner der kritischen Theorie und der Frankfurter Schule, setzt sich intensiv und komplex mit Horkheimers philosophischen Thesen auseinander - keine Lektüre für eilige Leser. Gleichzeitig vermittelt die Lektüre, wie geschickt sich Horkheimer auch in schweren Zeiten des Exils als Wissenschaftsmanager für den Erhalt des Instituts einsetzte. Dass der »transatlantische Spagat« glückte und das Institut nach dem verlorenen Krieg nach Frankfurt zurückkehrte, ist Horkheimers Verdienst, der sich auch als Uni-Rektor vehement für einen demokratischen Neubeginn der Universität einsetzte.
Der Musikkritiker Gerhard R. Koch schrieb über den Künstler-Philosophen Adorno auf unserem
Bild im Gespräch mit dem Verleger des Societäts-Verlags Dr. René Heinen (rechts)
So unterschiedlich die Charaktere der beiden Protagonisten sind, so stilistisch und inhaltlich verschieden sind auch die Biografien, die Wiggershaus und Koch verfasst haben. Diese Individualität der Biografen und Porträtierten macht auch den Charme der Reihe aus. Während Wiggershaus sachlich nüchtern mit hoher Präzision Horkheimers Wesen und Werk darstellt, erlaubt es sich der Musikkritiker Gerhard R. Koch - mit dem Hinweis auf die bereits erschienen Adorno-Biografie - den »Brüchen und Widersprüchen, mäandernden Entwicklungen von Person, Oeuvre und Wirkungsgeschichte« im feuilletonistischen Duktus, eigentlich »mäandernd«, zu nähern. Er bezeichnet Horkheimer und Adorno als »dioskurenhafte Doppelexistenz«, in Anlehnung an die Halb- und Zwillingsbrüder Kastor und Polydeukes aus der griechischen Mythologie.
Gerhard R. Koch und Rolf Wiggershaus
bei der Buchpräsentation im nebenstehenden Bild
Im großen Gemeinschaftswerk der beiden, die »Dialektik der Aufklärung« fanden sich - darauf legten sie stets Wert - beider Gedankengänge und Formulierungen, auch wenn wichtige Teile, vor allem zur »Kulturtheorie» von Adorno stammten. Ohne Horkheimers Weitsicht und sein organisatorisches Talent hätte Adorno seine Strahlkraft nicht entwickeln können.
Koch widmet sich vor allem dem Künstler-Philosophen Adorno, der in einer musikalischen Familienatmosphäre aufwuchs und bei Komponist Alban Berg in Wien studierte. Er würdigt das phänomenale sozial-philosophische Werk, berührt Adornos Leiden an Auschwitz und sein tragisches Scheitern in der 68er Studenten-Bewegung.
Physiker Horst Schmidt-Böcking mit dem Band über Otto Stern
Einer, der nicht mehr zurückkehrte, obwohl auch er sich der deutschen Kultur sehr verbunden fühlte, war der Quantenphysiker Otto Stern (1888-1969), der 1933 in die USA emigrierte und in Pittsburgh forschte. Der Physiker Horst Schmidt-Böcking, 22 Jahre Professor für Atomphysik an der Goethe-Universität, beschreibt Sterns Versuchsreihen, die halfen, den inneren Bauplan des Atoms zu entschlüsseln. Er war der erste, der einzelne Atome in einem Molekularstrahl isolieren und daran Quanteneigenschaften messen konnte. Mit seinem Kollegen Walter Gerlach konnte er in seiner kurzen Zeit als Professor in Frankfurt (1919-1921) mit dem Stern-Gerlach-Experiment die Richtungsquantisierung der magnetischen Momente nachweisen. Den Nobelpreis des Jahres 1943 erhielt er für die Entwicklung der Molekularstrahlmethode und für die Entdeckung des magnetischen Moments des Protons. Kernspintomographie, Laser (Maser), Atomuhr und anderes sind ohne Otto Sterns Forschung nicht denkbar.
Stern ging, da der damalige Dekan Richard Wachsmuth ihm wegen des »zersetzenden jüdischen Intellekts« die etatgesicherte Professur versagte, nach Rostock, dann nach Hamburg, wo er zehn Jahre forschte und lehrte. Mit dem Weggang Otto Sterns und seines Institutsleiters Max Born endeten die physikalischen Sternstunden an der Universität Frankfurt. Der Physiker Schmidt-Böcking schrieb die Biografie mit Unterstützung der Hamburger Mathematik-Historikerin Karin Reich.
Ein anderer herausragender Naturwissenschaftler war Friedrich Dessauer (1881-1963), der den noch jungen physikalisch-medizinischen Bereich aufbaute. Er war der erste Physiker, der sich für die Wirkung der Strahlen auf biologisches Gewebe interessierte. Bereits als Schüler konstruierte er einen Röntgenapparat. Ohne Rücksicht auf seine Gesundheit - zahlreiche Operationen wegen Hautkrebs waren die Folge -, entwickelte er Röntgenapparate für verschiedenste diagnostische Aufgaben und für die Strahlentherapie. Sein Studium der Physik und Elektrotechnik, das er aus familiären Gründen unterbrechen musste, beendete er mit 34 Jahren an der neu gegründeten Frankfurter Universität. Hier schuf er wenig später mit finanzieller Unterstützung von Henry Oswalt das Institut für Physikalische Grundlagen der Medizin, aus dem das heutige Max-Planck-Institut für Biophysik hervorging.
Anne I.Hardy in der Universität -
Autorin des Buches von Dessauer
Anne I. Hardy, Wissenschaftsjournalistin und Physikerin, promoviert in Wissenschaftsgeschichte, fokussiert die Biografie auf Dessauers ungewöhnlich mutiges Forscherleben und auf den Zentrums-Politiker, der in der Nazizeit verhaftet und wegen angeblichen Landesverrats vor Gericht gestellt, aber freigesprochen wurde. Nachdem ein SA-Mob das Haus in Sachsenhausen überfallen hatte und er seine Professur aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verloren hatte, fand er mit Familie Zuflucht in Istanbul, wo er das Institut für Radiologie und Biophysik aufbaute. Anne I. Hardy, deren flüssiger und anschaulicher Schreibstil den Leser mitreißt, berichtet auch von der religiösen Einsamkeit des gläubigen Katholiken in Istanbul, dessen Vorfahren jüdisch waren. 1953 kehrte der 72-Jährige an die Frankfurter Universität zurück und lehrte noch sieben Jahre. Begehrt waren seine allen zugänglichen Vorlesungen über Philosophie der Technik und über naturwissenschaftliches Erkennen.
Wahrscheinlich sind sich Dessauer und Fritz Neumark (1900-1991) in Istanbul begegnet, wo der Nationalökonom Zuflucht fand. Er wurde zum wichtigsten finanzpolitischen Berater Kemal Atatürks, dem Gründer der modernen Türkei. In diesem Zusammenhang schildert der Biograf, der in Istanbul geborene Nationalökonom Heinz Grossekettler, dessen Eltern mit Neumarks befreundet waren, eine amüsante Episode: Frau Neumark hatte einen größeren Einkauf in einem Textilgeschäft getätigt. Als der Geschäftsinhaber ihre Anschrift notierte, fragte er, ob ihr Mann der Neumark sei, der für die Änderung der Einkommensteuer mitverantwortlich sei, die ihn nun stärker zur Kasse bitte. Als sie dies bejahte, verweigerte er die Lieferung.
Als der »Rück-Ruf« von der Frankfurter
Universität kam, kehrte Neumark zunächst zögerlich und in Etappen mit seiner Familie zurück. Grossekettler zeichnet das Porträt eines richtungsweisenden Finanzwissenschaftlers und eines
einflussreichen Politikberaters sowie eines begnadeten akademischen Lehrers und engagierten Rektors. Grossekettler erläutert die von Neumark entwickelten Grundsätze einer modernen Finanzpolitik, die
auch die Wirtschaftsordnung der jungen Bundesrepublik maßgeblich mitgeprägt hat. Als Mitglied in den wissenschaftlichen Beiräten des Finanz- und Wirtschaftsministeriums hatte er einen erheblichen
Einfluss. Ebenso wie Horkheimer, mit dem ihn wenig verband, engagierte sich der Remigrant Neumark als Rektor - und dies gleich zweimal.
Die Biografienreihe überzeugt durch eine intensive und subtile Auseinandersetzung mit der Geschichte der Universität und ermöglicht damit die Selbstreflexion, die für die Zukunft der Hochschule
unerlässlich ist. Denn das rigorose Vorgehen der Universität gleich zu Beginn des Nationalsozialismus, in der ein Drittel ihrer meist jüdischen Wissenschaftler entlassen wurden, hat tiefe menschliche
und wissenschaftliche Wunden geschlagen. Zehn von den zwölf Büchern, die bisher erschienen, sind Persönlichkeiten gewidmet, die aus jüdischen Familien kamen. Sie waren sowohl finanziell als auch
wissenschaftlich die tragenden Kräfte dieser Universität - und das ist wichtig, in Erinnerung zu rufen!
Die Gründer, Gönner und Gelehrten, die die Universität ab 1914 bis in die Nachkriegszeit prägten, erfahren Würdigung, aber auch respektvolle Kritik. Die Intention, mit diesen Biografien eine breite Öffentlichkeit zu interessieren, ist bis auf wenige sehr fachbezogene Kapitel in dem einen oder anderen Buch, erfüllt. Diese gelungene, hochinteressante und auch spannend zu lesende Reihe, in der bisher leider keine Frau porträtiert wurde, lässt die Universitäts-und Stadtgeschichte eindrucksvoll lebendig werden.
Die
RezensentinRenate Feyerbacher, 73, war von 1970 bis 2008 freie Journalistin und arbeitete insbesondere für den Hessischen Rundfunk, aber auch für die Deutsche Welle und die
Frankfurter Rundschau. Sie studierte mit Magisterabschluss Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte, Germanistik, Zeitungswissenschaft an den Universitäten Köln und Wien. Foto: Erhard Metz
*) Ein weiterer Band, der 13., wird In diesem Monat über den Medizinier, Netzwerker, Wegbereiter Moritz Schmidt-Metzler (1838 - 1907) erscheinen. Die Autorin Berenike Seib, (geb. 1981) hat sich
in den letzten Jahren mit der 340-jährigen Geschichte des Hauses Metzler eingehend beschäftigt. Moritz Schmidt-Metzler gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der Frankfurter Gesellschaft um
1900. Aus der Kaufmannsfamilie "Tee-Schmidt" stammend, heiratete er 1863 Mathilde Metzler, deren Namen er fortan führte. Er folgte dem Vorbild seines Vaters und studierte Medizin. Als Vorsitzender
der Administration der Dr. Senckenbergischen Stiftung leistete er wesentliche Vorarbeit für die Gründung der Universität und stellte gleichzeitig wichtige Weichen für die Zukunft der
Senckenbergischen Einrichtungen. Sein Hauptverdienst ist die Verlegung und räumliche Konzentration derjenigen wissenschaftlichen Einrichtungen, die später zur Keimzelle der naturwissenschaftlichen
Fakultät der Universität wurden. So zählt Schmidt-Metzler zu den wichtigsten Wegbereitern der Goethe-Universität, obwohl er deren eigentliche Gründung im Jahr 1914 nicht mehr erlebte.
Die Autorin des 13. Bandes, Berenike Seib. Foto:
Societäts-Verlag
Die Autorin Berenike Seib studierte Geschichte und Germanistik an der TU Darmstadt. Seit 2008 arbeitet sie in der Unternehmenskommunikation des Bankhauses Metzler. Neben ihrer Arbeit im Veranstaltungsmanagement betreut sie das historische Archiv des 1674 gegründeten Bankhauses und forscht zur Geschichte von Bank und Familie. Ralph Delhees
Die Bände der Biografien-Reihe „Gründer, Gönner und Gelehrte" sind im Frankfurter Societäts-Verlag erschienen. Der Einzelband kostet 14,80 Euro. Der Schuber mit derzeit noch 12 Bänden kostet 98 Euro. Bände und auch der Schuber sind in jeder Buchhandlung oder direkt beim Societäts-Verlag (vertrieb-sv@fs-medien) zu bestellen. Weitere Biografien sind geplant.
Die Fotos (8) in dem Beitrag sind von der Autorin Renate Feyerbacher und die von Titeln der Bände vom Societäts-Verlag