Banner
 

RheinMainTaunus

OnlineMagazin

Kunst & KulturLiteratur › Faust „der Tragödie zweiten Teil“ war ein Hochgenuss an Sprache und Dichtung

Faust „der Tragödie zweiten Teil“ war ein Hochgenuss an Sprache und Dichtung

Literarischer-musikalischer Rezitationsabend sucht seines Gleichen in der Region - Wilhelm Meyer rezitierte auswendig das großartige Goethe-Werk - Bravo-Rufe und langer Applaus           von Christine Diegelmann

05.11.15 || altKRIFTEL (04. November 2015) - Bereits vor einem halben Jahr hatte der Journalist Wilhelm Meyer mit einer ungewöhnlichen Veranstaltung im Rat- und Bürgerhaus großen Erfolg gehabt. Der „Osterspaziergang" aus Goethes „Faust" war damals Angelpunkt eines Nachmittags, an dem Meyer abwechselnd rezitierend oder im Dialog mit Bürgermeister Christian Seitz in der Rolle der „Lustigen Person" das Publikum mal in ehrfürchtiges Erstaunen versetzte und mal zum Lachen brachte.

Mittels Rezitationen und erklärender Überleitungen zog Wilhelm Meyer einen roten Faden durch das Werk des Faust (neben stehendes Bild)

Vorgetragen wurden Texte aus dem Werk des Dichterfürsten im Wechsel mit einigen humoristischen Ergänzungen Meyers. Und alles komplett auswendig. Angereichert mit thematisch passender Musik, die unter der Leitung von Dietmar Vollmert durch mehrere Gesangssolisten beigetragen wurde, war ein Ganzes entstanden, das seines Gleichen in der Region suchte. Ein ganz besonderes Geschenk an die Gemeinde und ihre Bürger zu einem nicht ganz runden Jubiläum: 1225 Jahre urkundliche Ersterwähnung der Gemeinde Kriftel.

Gut sechs Monate später hatte Meyer jetzt zu „der Tragödie zweiten Teil" am Reformationstag geladen. Während sich draußen gruselig verkleidete Halloween-Kinder in die einbrechende Dunkelheit aufmachten, füllte sich im Bürgerhaus das Foyer bis auf den letzten Platz. Auf herbstlich dekorierten Tischen standen Wein, alkoholfreie Getränke und Gebäck bereit. Der Eintritt war frei, Spenden zugunsten der Bürgerstiftung Kriftel wurden erbeten.

Wilhelm Meyer als Faust in einer Sequenz mit Dietmar Vollmert, der die musikalische Leitung inne hatte, und Christian Seitz (von links)

Arien und Lieder zum Thema „Faust"


Das Programm versprach neben Meyers Rezitationen wieder die Mitwirkung von Christian Seitz, dem musikalischen Leiter Dietmar Vollmert, Norbert Henß am Flügel, und für den Gesang Olesja Burghof (Sopran) und Carsten Vollmert (Bariton). Sopranistin Britta Stegmann war kurzfristig erkrankt. Dafür bereicherte die Englischhornistin Heidrun Molge die musikalischen Einlagen.

Im Zwiegespräch Christian Seitz (rechts) und Wilhelm Meyer

Die Sänger interpretierten Arien und Lieder zum Thema „Faust" und Goethe. Olesja Burghof brillierte mit der „Juwelenarie" aus der Oper "Faust" von Charles Gounod und trug nach der Pause Peter Tschaikowskys "Nur wer die Sehnsucht kennt" in der Originalsprache Russisch vor. Carsten Vollmert sang Hugo Wolfs Vertonung von Goethes "Der Rattenfänger" sowie "Son lo spirito che nega" aus Arrigo Boitos Oper „Mefistofele" grandios und mit viel Spielfreude am Diabolischen. Beide virtuos begleitet von Henß am Flügel.

Hochgenuss an Sprache und Dichtung


Das gesprochene Wort kam überwiegend von Wilhelm Meyer. Er wand mittels Rezitationen und erklärender Überleitungen einen roten Faden durch das Werk, das er damit in seinen Grundzügen von Anfang bis Ende vorstellte. Er konzentrierte sich vornehmlich auf das Wirken Fausts. Dem Publikum versprach er einen Hochgenuss an Sprache und Dichtung. In der gekürzten Fassung sollte das Wichtige des Inhalts als auch die Schönheit und Poesie der Form zur Geltung kommen.

Musikalisch umrahmten u.a. Carsten Vollmert als Mephisto mit Liedern und auf dem Englischhorn Heidrun Molge den Abend

Meyer begann seinen Vortrag mit der Wiederholung von Auszügen aus dem ersten Teil des Werkes: Dem „Prolog im Himmel", einem Auszug aus dem „Vorspiel auf dem Theater" sowie der letzten Szene „Kerker", mit der er den Bezug zu „Ariels Gesang" am Beginn des zweiten Teiles herstellte. So wird denn Faust II erst einmal von seinen bitteren Erinnerungen an Gretchens Ende sowie seinen Schuldgefühlen durch gute Geister völlig befreit. „Vollbringt der Elfen schönste Pflicht: Gebt ihn zurück dem heiligen Licht!"

Von alten Lasten derart befreit, bricht Faust sogleich zu neuen Taten auf. „Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen, zum höchsten Dasein immerfort zu streben." Es folgten Textpassagen über die gemeinsame Reise des Protagonisten und Mephisto durch Raum und Zeit, beispielsweise an den mittelalterlichen Hof des Kaisers, ins antike Griechenland oder in die gotische Studierstube, wo Wagner einen Menschen erschaffen wollte, bis hin zu Fausts Tod und Erlösung. Denn: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen".

Traum von Kreisstadt mit Ortsteil Hofheim


Aufgelockert wurde der anspruchsvolle Stoff mittels amüsanter Dialoge zwischen Wilhelm Meyer und Christian Seitz, der sich gleich über seine „Beförderung" zum „Doktor Wagner" freute. Die beiden sinnierten über das Werk, die Weisheit und die Wette - ergänzt um aktuelle Bezüge zur Gegenwartskultur Fußball, was für viel Heiterkeit im Saal sorgte. Auch seine Träumereien in Bezug auf den Status einer Kreisstadt mit Ortsteil Hofheim, einer Straßenbahn, die bis zum Linsenberg fährt oder einer B 519 als Fahrradweg für ausgelassene Stimmung.

Norbert Henß am Flügel und Olesja Burghof, die u.a. mit ihrer „Juwelenarie" brillierte. Fotos (6): Ralph Delhees

Zusätzlich gab es Wissenswertes zu hören, wie etwa, dass Goethe im Dialekt gedichtet und seine Reime ins Hochdeutsche hatte übertragen lassen. Zum Dank an seinen Dialogpartner widmete Meyer ihm zum Schluss ein paar Zeilen aus der „Zueignung", eine Textpassage, die es Christian Seitz besonders angetan hat. Mit einem kurzen Epilog endete der grandiose Vortrag. „Das Unbeschreibliche, hier ist es getan, das Ewig-Weibliche zieht uns hinan."

Der Journalist Meyer sprach sämtliche Texte auswendig - ohne ein einziges Mal ins Stocken zu geraten. Wie geht das? „Üben und wiederholen. Bis zu 90 Minuten täglich. Es braucht gut ein Jahr Vorbereitung", so Meyer. Diese große Liebe zu schöner Sprache brachte ihm Bewunderung und Begeisterung ein. Entsprechend lang und von „Bravo"-Rufen begleitet war der Schlussapplaus. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass es für „Faust"-Neulinge stellenweise ein wenig schwierig war, die vielen verschiedenen Rollen voneinander zu unterscheiden.

Abschließend dankte Christian Seitz allen Protagonisten und ganz besonders Wilhelm Meyer, der ihm und allen im Saal versprach: „Beim nächsten Jubiläum bin ich wieder dabei!"