19.04.14 || FRANKFURT (18. April
20114) - Gastgeschenk, Belohnung oder Entschädigung: Immer wenn die Stimmung gut sein soll, gibt es etwas Süßes. Lecker! Intuitiv wissen wir, dass Zucker psychoaktiv ist. Der Stoff, der unseren
Speiseplan erst vor ein paar Jahrhunderten als raffiniertes Produkt aus Zuckerrohr oder Rübe bereicherte, aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn. Dann werden Moleküle wie Endocannabinoide
ausgeschüttet, die Wohlgefühl im Körper verbreiten. Was süß wie Muttermilch schmeckt, sichert seit Menschengedenken zu, dass es nicht giftig ist wie manche bitteren und sauren Pflanzen. Außerdem
glauben viele Wissenschaftler, dass die Bevorzugung des (schnell fürs Gehirn verfügbaren) Süßen half, das Überleben der Art zu sichern. Denn Zucker bringt rasch neue Energie.
Und wenn wir die Energie gar nicht brauchen? Dann landet sie in den Fettzellen. Wer heutzutage dem Verlangen nach süßem Geschmack öfter nachgibt, ist wahrscheinlich schon ausgerutscht auf der Spur der Gewichts- und Krankheitszunahme, die die Nahrungsmittelindustrie seit etwa 40 Jahren gelegt hat. Und diese klebrige Spur trägt den Namen High Fructose Corn Syrup (HFCS). Es ist ein Sirup aus Mais.
An ihrem Anfang stand der Wunsch in den USA nach der Kubakrise, die Grundnahrungsmittel günstiger zu machen und Farmern und Händlern ein gutes Auskommen zu ermöglichen. Durch extensiven Maisanbau und
intensive Verarbeitung. Seit den 70er Jahren planieren Produkte mit dem an sich gesunden Mais den Weg in eine durch Übergewicht und Zivilisationskrankheiten geplagte westliche Gesellschaft: Die
Industrie ersetzte den vergleichsweise teuren Zucker, also Saccharose aus Glukose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker), in den Nahrungsmitteln durch Maissirup, der vorwiegend aus Fruktose
besteht. Isolierter Fruchtzucker hat eine höhere Süßkraft als Haushaltszucker, man braucht also weniger für die gleiche Wirkung. Als industriell optimiertes Konzentrat High Fructose Corn Syrup (HFCS)
gelangte der süße Stoff deshalb nicht nur in süß schmeckende Softdrinks wie Wellness-Getränke oder in Kuchen, sondern ebenso in zahlreiche Fertig- und Milchprodukte, Mayonnaise oder Ketchup.
Doch Maissirup ist nicht nur süßer als Zucker, er wird auch anders als Zucker verstoffwechselt. Fatalerweise unterdrückt das nach der deutschen Zuckerverordnung Fruktose-Glukose-Sirup genannte
billige und süße Konzentrat das appetitzügelnde Hormon Leptin. Glukose wirkt indirekt übers Insulin auf Leptin ein, das dem Körper signalisiert: Nun ist es genug. Fruktose findet dagegen quasi direkt
seinen Weg in die Fettzellen; die Sättigungsmeldung bleibt aus. Das Resultat: Wer HFCS-haltige Nahrungsmittel oder Getränke zu sich nimmt, hat schnell wieder Hunger oder Appetit, während er
gleichzeitig mehr Fett einlagert. Der Beginn eines Teufelskreises.
Dass die Leute immer fetter und kranker wurden, rief ab den 80er Jahren Wissenschaftler und Gesundheitsapostel auf den Plan. Man machte das Fett dafür verantwortlich, eliminierte die geschmacksintensivierende Substanz so weit es ging aus den Fertiggerichten - und ersetzte das Fett durch das ebenfalls geschmackshebende HFCS. Die Leute gewöhnten sich an einen süßen Geschmack, betrieben Fitness für gute Gewissen und wurden trotzdem dicker und kranker. Denn Fett durch isolierten Fruchtzucker zu ersetzen verschlimmert das Problem.
Der amerikanische Endokrinologe Robert Lustig war einer der ersten, der dies erkannte. Seine Studien weisen darauf hin, dass eine hohe Gesamtfruktoseaufnahme - also die Summe aus isolierter Fruktose
und der im Haushaltszucker enthaltenen Fruktose - den Stoffwechsel über die Stoffwechselzentrale im Gehirn, den Hypothalamus, durcheinander bringt und die Gewichtszunahme fördert. Die Erhöhung der
Blutfettwerte, des Blutdrucks, des Gichtrisikos und der Insulinresistenz (Diabetes) sowie die Entstehung einer nicht-alkoholischen Fettleber sind mögliche Folgen.
Übergewicht gab es genetisch bedingt immer schon, sagt Lustig, der übermäßige Verzehr des in der Nahrung versteckten industriell hergestellten Fruchtzucker führt aber zu krankhaftem Übergewicht. Die Zellen werden resistent gegen Insulin, das heißt, sie reagieren nicht mehr auf das Hormon. In der Folge kommt es zu Diabetes. Doch Lustigs Warnungen blieben lange Zeit ungehört. Auch von einem Zusammenhang zwischen Zucker und Krebs ist neuerdings die Rede, weil Krebszellen Zucker bevorzugen.
Jeder Deutsche verzehrt heute pro Jahr durchschnittlich 35 Kilogramm Zucker, das sind etwa 20 Teelöffel am Tag. Davon braucht unser Körper kein einziges Gramm! Was er braucht, ist Glukose. Und die
stellt er aus komplexen Kohlenhydraten selber her, die er in Form von Kartoffeln, Nudeln, Reis, Brot oder Körnern bekommt. Wer lange genug auf einem Stück Brot kaut, kann die Umwandlung von Stärke in
Zucker im Mund schmecken. Das Gehirn macht für seinen Stoffwechsel keinen Unterschied zwischen der Glukose aus Brot oder Sahnetorte, die Psyche aber sehr wohl. Sie bekommt erst den richtigen Kick,
wenn die Süßrezeptoren auf der Zungenspitze anschlagen.
Heute wissen wir: Einfacher Fruchtzucker ist deutlich schlechter für die Gesundheit als sein Ruf. Das trifft auch auf Agavendicksaft und sogar auf Honig zu. Doch wer deshalb auch gleich
naturbelassene Süße oder das Obst verdammen will, schüttet das Kind mit dem Bade aus. Die Mischung im natürlichen Vorkommen und die Dosis machen's.
Frisches Obst enthält neben dem Fruchtzucker - besonders direkt unter der Schale konzentriert - wichtige Vitamine, Antioxidantien, Nährstoffe und jede Menge satt machender und verdauungsfördernder
Ballaststoffe. Der herzhafte Biss in ein frisches Stück naturbelassenen Obstes ist jedem Fruchtsaft oder Smoothie vorzuziehen. Andererseits kann ein Übermaß an verzehrtem Obst auch zu Blähungen und
Durchfall führen, selbst wenn die Esser nicht unter Fruktose-Intoleranz leiden.
Literaturhinweis: Achtung, Zucker! 36 Zuckerfallen, die jeder kennen sollte, und die besten Alternativen, von Claudia Boss-Teichmann, 1. Auflage 2014, 144 Seiten (8,90 Euro plus 2,50 Euro Zustellgebühr). Herausgeber ist die Verbraucherzentrale Nordrhein-WestphalenZu beziehen über die Verbraucherzentrale NRW (Internet: www.vz-ratgeber.de - E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! Sie müssen JavaScript aktivieren, damit Sie sie sehen können. )